In der Uhlandstraße 78 stoßen wir auf diesen rosaroten Brocken. Ein von der Mittelachse abgerückter Schweifgiebel, das halbseitig hinabgezogene Mansardendach und die aufgelösten Fensterachsen: Das sind die Nachwirkungen des Landhausstils. Dagegen folgen die Fenstersituationen einer anderen Logik. Jedes für sich bricht aus dem Gefüge aus, beansprucht Autonomie und stellt seine Nachbarn infrage. Es ist ein zwiespältiges Bauwerk: Die freie, malerisch-ungezwungene Form ist der Rahmen für eine gestalterische Härte, eine neue Monumentalität im Detail. Diese Spannung reizt uns.
Beachtlich: Das falsche Palladiomotiv der Erker im ersten Obergeschoss. Wo wir die beiden kleineren Öffnungen beidseitig des zentralen Rundbogenfensters erwarten, entdecken wir je drei massige Pilaster. Zusammen mit den Säulen, die den Vorbau der Loggien stützen, lösen sie die Wand des Vorsprungs vollständig auf. Allerdings wird diese verheißungsvolle Geste durch den unregelmäßigen Wechsel der Stützen (3,4,1,4,3) gestört. Auch unterstreicht die Überbetonung der Last das fehlende Tragwerk im Untergeschoss: All diese Masse, sie hängt buchstäblich in der Luft!
Echte Palladiomotive gibt’s auch: Auf den Außenbahnen im zweiten Obergeschoss, innen im vierten. Aber wir interessieren uns mehr für die Faschen. In einer Monumentalordnung fassen sie die Erkerfenster des zweiten und dritten Geschosses zu einer Einheit zusammen. Das war dem Baumeister wohl Ordnung genug. Sofort bricht er mit ihr: Auf der rechten Achse lagert ein schmaler Mansardenstreifen, den unser Blick nirgends mit dem Dach verbinden kann. Über dem linken Erker stapeln sich die Giebel.
Überhaupt die Giebel: In ihnen verdichtet sich das innere Zerwürfnis unseres Patienten. Je nachdem wie wir unseren Blick polen, erscheinen sie uns entweder wie unabhängige Planeten, die allein noch denselben Sonnenkörper umkreisen oder wie eine wohlsortierte Fuge, in der wir den Kontrapunkt jedes Gliedes ermessen können. Zahlenmystiker aufgepasst: Wer die Fenster der einzelnen Ensembles zählt, wird feststellen, dass die Zahlen zwischen eins und fünf genau einmal vorkommen. Kein Zufall wird es sein, dass Eins und Fünf (Anfang und Ende) im Hauptgiebel sitzen.
Über all das könnte man die Nase rümpfen. Wir blicken zärtlich darauf. Ist dies der letzte Versuch einer restlos individualisierten Gesellschaft, die ihr integrale Dispersion in einem architektonischen Bild zu binden? Im Weitergehen hängen unsere Gedanken an diesem neuen Bedürfnis nach Größe, das um das Jahr 1910 die große Form noch nicht ins Auge fassen wollte.