Wärme

Mit hochgestelltem Mantelkragen schleichen wir durch die Kälte des verlassenen Preußenparks. Von den Thaidämpfen, die uns hier sonst in die Nasen steigen, haben die Ostwinde nichts übriggelassen. Allein die Pfade, die die Hungrigen zwischen den Ständen in die Wiese getreten haben, zeugen wie der mysteriöse Grundriss verfallener Ritenstätten vom sommerlichen Treiben. Wenig würden wir jetzt so gern schmecken wie die erhitzende Schärfe der hier zubereiteten Gerichte. Ohne sie bleibt uns nichts anderes übrig, als den Blick zu heben und uns mit geistigem Proviant aus der Trübe zu helfen. So trifft uns das leuchtende Gelb der Pommerschen Straße 15/Bayerischen Straße 18.

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Die Betonung der Horizontalen durch die Ausrichtung der Fenster und die geschwungene Ecke lassen uns glauben, dass wir es mit einem neusachlichen Rundbau zu tun haben, der dem Kurvenverlauf der Straße abgeleitet ist. Dieser Eindruck trügt. Von nahem betrachtet, zerfällt der Bau in die Bestandteile eines klassischen Mietshauses. Anstatt dem Baukörper immanent zu sein, wird die vertraute Bewegung allein von den Balkonen vollzogen, die, zwischen Erker gespannt, dem Gebäude nur vorgelagert sind.

In ihren Tiefen erkennen wir dann auch das Rudiment eines großbürgerlichen Wohnturms, den wir eher am Kurfürstendamm erwartet hätten. In der Deckung der modernen Formen versuchen die Lisenen und vertikalen Fenster, verlorengegangenen Repräsentationsansprüchen gerecht zu werden. Fast scheint es so, als habe sich im Innern des Hauses ein Gebäude aus der Epoche um 1900 versteckt.

Dabei ist der Rückgriff auf die Architektur der Kaiserzeit wohl in der vornehmen Lage am Parkrand begründet, welche den ersten Mietern noch einen Ausblick auf die großzügigen Tennisanlagen am Fehrbelliner Platz geboten haben dürfte. Wie in einer Mehrfachbelichtung blitzt diese Konstellation aus Sportanlage, Schmuckpark und vorrepublikanischem Wohngefühl plötzlich vor uns auf und überblendet den bauzeitlichen Kontext. So kurz vor der Weltwirtschaftskrise dürften wir es mit einer der letzten Zuckungen des Wilhelminismus zu tun haben.

Wir werden nicht traurig darüber und denken uns lieber einen anderen Weg. Weiß verputzt erscheint uns der Bau bald in der Sonne Tel Avivs, wo sich ein verstoßener Schüler Mendelsohns in vierter Reihe versuchen durfte. Sein Werk verdankt sich ein paar losen ästhetischen Ideen und den übermächtigen Erinnerungen, die ihm von der Kindheit geblieben sind. So gefällt uns der Bau schon besser, denn die Bäume in seiner Nähe verloren ihre Blätter nicht vor Kälte, sondern weil die Sonne sie ihnen von den Ästen gebrannt hat.

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